2. Huldrych Zwingli (1484 - 1531)

Von der Geburt bis zur Berufung nach Zürich

Huldrych Zwingli wird am 1. Januar 1484 in Wildhaus (ca. 50 km südlich von St. Gallen, in einem Obertal des Toggenburg gelegen) geboren. Er hat neun oder zehn Geschwister, von denen mindestens zwei relativ früh sterben; zwei Schwestern gehen ins Kloster.
Nach dem Schulunterricht u.a. in Basel und Bern studiert Zwingli ab 1499 in Wien und dann von 1502 an in Basel, wo er 1506 das Magisterexamen ablegt. Wichtigster Lehrer wird ihm wohl in Basel Thomas Wyttenbach. Im Anschluss an sein Studium der "freien Wissenschaften" (liberales Artes) studiert Zwingli noch ein halbes Jahr Theologie und ist ab dem Sommer 1506 Pfarrer in Glarus, nicht allzu weit von Wildhaus gelegen.
Schon früh bezieht Zwingli Stellung in einer politischen Fragestellung. Hintergrund ist das in der damaligen Eidgenossenschaft übliche Söldnerwesen. Dieses sogenannte "Reislaufen" ist für die Orte lukrativ: wer einen Teil der jungen Männer des Ortes als Söldner zur Verfügung stellt, bekommt Geld in die Stadtkasse. In Glarus wird nun 1506 überlegt, in welche Richtung sich Glarus orientieren soll und wem die Söldner aus Glarus dienen sollen: Habsburg, Frankreich oder dem Papst. Zwingli schlägt sich auf die päpstliche Seite; er kann die Soldaten als Waffe des Gekreuzigten gegen die Feinde der Kirche verstehen - der Krieg ist also heiliges Instrument. 1513 ist Zwingli als Feldprediger unterwegs und begleitet ca. 500 Glarner Soldaten, die im päpstlichen Heer kämpfen. Die Erfahrungen, die er im Krieg macht, lassen Zwingli nachdenklich werden. 1515 erleidet das päpstliche Heer mit den Glarnern eine Niederlage, und in Glarus selber schlägt die Stimmung zugunsten der siegreichen Franzosen um. Das ist für den papsttreuen Zwingli ein Problem: Er geht von Glarus weg und wird 1516 Leutpriester in Einsiedeln, einem alten Kloster- und Wallfahrtsort. In den gut zwei Jahren, in denen Zwingli in Einsiedeln arbeitet, tritt der politische Charakter seiner Tätigkeit, der vorher stark bestimmend war, zurück. Stattdessen stehen im Vordergrund die kirchliche Tätigkeit und auch persönliche und weitere wissenschaftliche Studien.
Denn wohl im Jahre 1516 gibt es bei Zwingli einen reformatorischen Durchbruch. Er sagt von sich selber, dass er ab 1516 "das Evangelium gepredigt" habe. Er liest scholastische Werke und die Kirchenväter, bringt sich selber Griechisch bei, um das Neue Testament im Urtext lesen zu können. Zwingli wird ein gebildeter Theologe. Auch lernt er die Philosophie des berühmten Erasmus von Rotterdam kennen; sie beeindruckt Zwingli, ohne dass er sie einfach übernimmt. Und worin besteht nun sein "Evangelium"? Man wird nicht fragen dürfen, ob denn die bei Luther vorhandene "Rechtfertigungserkenntnis" da ist, um bei Zwingli einen reformatorischen Durchbruch benennen zu können. Vielmehr geht Zwingli einen eigenen Weg - und bei ihm ist die reformatorische Wende in einer eindeutigen Hinwendung zur Bibel, und zwar zum "sola scriptura", zum "allein die Heilige Schrift" zu sehen. Das aber war nicht eine methodische Entscheidung, vielmehr betont Zwingli die Autorität der Heiligen Schrift, weil sie und nicht die Kirche in ihrer klerikalen Machtfülle das Evangelium, die gute Botschaft des menschenfreundlichen Gottes, vermittelt. Dieser Prozess der reformatorischen Erkenntnis wird in den nachfolgenden Jahren inhaltlich ausgeführt und vertieft werden.

Die Anfänge der Reformation in Zürich

Im Herbst 1518 wird Zwingli auf die Leutpriesterstelle in Zürich berufen: Hauptaufgabe ist das Predigen. Und er beginnt mit einer Besonderheit: als Grundlage seiner Predigten benutzt er nicht die Perikopenordnung, sondern er legt die biblischen Schriften kontinuierlich aus. Damit wendet er sich gegen die Dominanz des Kirchenjahres und folgt der Bibel auch in ihrem Fortgang.


Ansicht von Zürich
Nach J. Stumpfs Schweizerchronik. Zürich 1547

Bis 1522 findet bei Zwingli eine Vertiefung der Schrifterkenntnis statt. Ein Tenor seiner Predigten besteht im Einsatz gegen das Reislaufen - mit Erfolg: 1522 verbietet es der Rat Zürichs.
Im Jahre 1522 beginnen dann die öffentlichen Auseinandersetzungen. Am 9. März 1522 findet im Haus des Buchdruckers Christoph Froschauer ein demonstratives Wurstessen statt, demonstrativ, weil die Wurst in der Fastenzeit gegessen wird. Zwei geräucherte Würste werden kleingeschnitten und unter die anwesenden Leute verteilt. Zwingli ist dabei, ohne sich am Wurstessen zu beteiligen. Diesem ersten Verstoß gegen das Fastengebot folgen in den darauffolgenden Tagen weitere. Das ganze wird schnell in Zürich bekannt, der Rat beginnt einzuschreiten und nimmt gerichtliche Ermittlungen auf.
Nur zwei Wochen nach dem Wurstessen thematisiert Zwingli in einer Predigt das Fastenproblem; diese Predigt erscheint im April 1522 unter dem Titel: "Von Erkiesen und Freiheit der Speisen". Zwingli vertritt hier ein evangelisches Freiheitsverständnis: Von allen menschlichen Geboten und Ordnungen sind die Christenmenschen freigestellt, menschlichen Geboten ist nicht unbedingter Gehorsam zu leisten. Das Fastengebot ist solch eine menschliche, kirchliche Satzung. Und weil es keine göttliche Autorität und das heißt: keine Autorität der Bibel hinter sich hat, muss man dem Fastengebot keine Folge leisten. Gleichzeitig sind die Christen frei, diese Freiheit, die sie haben, nicht exzessiv zu nutzen, weil sie nicht von dieser Freiheit leben.

Zu Zwinglis Freiheitsverständnis

Ihr Glaube an Gott war nicht mehr so stark, dass sie auf ihn allein vertrauten und ihre Hoffnung auf ihn allein setzten, allein auf sein Gebot und seinen Willen hörten. Töricht begannen sie wiederum, dem Diktat der Menschen zu folgen. Gleich als ob Gott etwas versäumt habe, das nun zu ergänzen und zu verbessern sei, reden sie sich ein: an diesem Tag, in diesem Monat, zu dieser und jener Zeit darfst du dies und das nicht tun. (Wobei ich nichts dagegen habe, wenn jemand zur Gesunderhaltung und Disziplinierung seines Körpers sich freiwillig Verzicht auferlegt und dabei sein Fasten nicht überbewertet und nicht hoffärtig dabei wird; sein Fasten also aus Demut kommt.)
Macht man sich selber aber daraus ein Gebot und redet sich ein, man sündige, wenn man es nicht einhält, dann heißt dies, das Gewissen brandmarken und beschmutzen, und Verführung zu wahrer Abgötterei. ...
Kurz und einfach gesagt: Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl! ...
Wenn aber dein Nächster daran Anstoß nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen. Nur wenn er den Grund deiner Freiheit erkennt, wird er nicht mehr daran Anstoß nehmen, es sei denn, er wolle dir vorsätzlich übel. ...
Vielmehr sollst du deinem Nächsten in freundlicher Weise den Glauben erklären und ihm sagen, dass auch er alles essen dürfe und er darin frei sei.

(aus: H. Zwingli, Von der Freiheit der Speisen (1522), zitiert nach: Huldrych Zwingli, Schriften Bd. 1, 37-39.62)

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Warum wendet sich Zwingli hier gegen das Fastengebot? Und was hat das Fastengebot mit dem Glauben zu tun?

2. Hält Zwingli das Fasten für unchristlich?

3. Was ist der Grund der Freiheit?

4. Warum sollen Christenmenschen ihre Freiheit nicht in jedem Falle ausüben?

 

Die Situation in Zürich spitzt sich weiter zu. Der Rat der Stadt schreibt sich selber und nicht etwa dem zuständigen Konstanzer Bischof die Entscheidungskompetenz zu. Nach einer Anhörung und vorläufigen Untersagung des Fastenbruchs wird eine Disputation auf Anfang 1523 festgelegt: Dort will der Rat der Stadt dann entscheiden. Und als Kriterium für die Entscheidung wird die Heilige Schrift benannt. Damit ist Zwinglis reformatorische Erkenntnis in Zürich zum Durchbruch gelangt. Neben dem Fastenbruch gibt es weitere Konflikte. So kritisiert Zwingli die Heiligenverehrung, woraufhin es Auseinandersetzungen mit den Bettelorden gibt - der Rat fordert aber auch die Bettelorden auf, nur noch schriftgemäß predigen. Ferner fordert Zwingli dazu auf, den Zölibat freizugeben und den sich in der Reichsacht befindenden Luther zu schützen. Ebenfalls 1522 wendet sich Zwingli gegen die Heilsmittlerschaft Marias.
Im August 1522 kündigt Zwingli der römischen Kirche die Gefolgschaft auf, weil sie sich nur auf Menschengesetze gründe. Erasmus ist entsetzt über solche entschiedenen Worte.
Zwingli wächst mehr und mehr hinein in die Rolle des tonangebenden Predigers in Zürichs. Er lebt selber seit 1522 mit seiner Frau Anna Reinhart zusammen, die er aber erst 1524 offiziell heiratet; beiden werden vier Kinder geboren.

Zwingli Am 29. Januar 1523 findet die erste Zürcher Disputation statt. Letztlich geht es darum, ob Gründe gegen Zwinglis Predigt aufgebracht werden können - entscheiden will der Rat dann auf der Grundlage der Bibel. Ca. 600 Teilnehmer kommen ins Rathaus. Aus Konstanz kommt eine Gesandtschaft unter Leitung von Johannes Faber, der aber nicht disputieren, sondern nur protestieren und als Beobachter fungieren soll. In der Diskussion geht es vor allem um das Autoritätsproblem: Wem kommt letzte Autorität auf Erden zu? Schon mittags hat der Rat genug gehört und beschließt, dass Zwingli keine Ketzerei vorgeworfen werden könne. Vielmehr noch: Alle anderen Prediger sollen auch auf der Grundlage der Heiligen Schrift predigen. Für die Disputation formuliert Zwingli 67 Artikel oder Schlussreden; zwei Schlagworte können als Zusammenfassung gelten: solus Christus, alleine Christus, und sola scriptura, alleine die Bibel.

Im zweiten und dritten Artikel der 67 Artikel oder Schlussreden heißt es:

Die Hauptsache des Evangeliums ist kurz zusammengefasst die, dass unser Herr Christus Jesus, wahrer Gottessohn, uns den Willen seines himmlischen Vaters mitgeteilt und uns durch seine Unschuld vom Tod erlöst und mit Gott versöhnt hat. ... Deshalb ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit für alle, die je waren, sind und sein werden.

(aus: H. Zwingli, Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel (1523), zitiert nach: Huldrych Zwingli, Schriften Bd. 2, 28.31)

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Was sind die beiden Dimensionen, die Zwingli "Hauptsache des Evangeliums" nennt?

2. Was sagt uns Jesus Christus über Gott?

3. Warum ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit?

Theologische Vertiefung und Auseinandersetzungen

Das Jahr 1523 ist für Zwingli geprägt durch eine theologische Vertiefung seiner Gedanken. Sie betreffen etwa die scharfe Unterscheidung zwischen Gott und der Kreatur, das Sündenverständnis, die Lehre von der Kirche, die Bedeutung der Gerechtigkeit und damit auch das Verhältnis von Staat und Kirche. Aber auch schon sein neues Denken hinsichtlich des Abendmahls wird deutlich - Zwingli sieht es nicht mehr als heilsvermittelnd an.
Insgesamt ist erkennbar, dass Zwingli hier einen eigenständigen Weg der Reformation geht. Er ist weder Luther noch Erasmus, sondern entwickelt eine eigenständige Theologie, die von beiden Elemente aufnehmen kann.

Zum Glauben und zur Vergebung der Sünden

Ich habe aber gesagt, dass die Sünden durch den Glauben vergeben werden; und dadurch wollte ich nichts anderes sagen, als dass einzig der Glaube den Menschen der Vergebung seiner Sünden gewiss machen kann.
Wer also auf Christus vertraut, dem werden die Sünden vergeben. Wie niemand von einem anderen weiß, ob er glaubt, so weiß auch niemand, ob jemandem die Sünden vergeben sind, außer ihm allein, der durch das Licht und die Festigkeit des Glaubens der Vergebung gewiss ist, weil er nämlich weiß, dass Gott ihm durch Christus vergeben hat; und dieser Vergebung ist er so sicher, dass er an der Vergebung der Sünden durch die Gnade überhaupt nicht zweifelt, weil er also weiß, dass Gott nicht täuschen oder lügen kann.

(aus: H. Zwingli, Erklärung des christlichen Glaubens (1531), zitiert nach: Huldrych Zwingli, Schriften Bd. 4, 294f.)

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Gegen welches Mißverständnis des Glaubens wehrt sich Zwingli?

2. Wie gewinnt der Mensch Gewißheit der Sündenvergebung?

3. Kann man sich seines Glaubens sicher sein?

 

Neben der theologischen Vertiefung setzt sich die Reformation auch im Alltag durch. Die Klöster leeren sich. Viele Priester heiraten. Die gottesdienstliche Liturgie wird stark verändert und vereinfacht. Im September 1523 mehren sich bilderstürmerische Aktivitäten, die zu Auseinandersetzungen führen. Im Oktober 1523 kommt es zur zweiten Zürcher Disputation hinsichtlich der Gottesdienstreform und der Bilder in den Kirchen. Das Ergebnis ist die Empfehlung, nicht mit Gewalt vorzugehen, sondern mit Argumenten zu überzeugen. Aber an der Disputation wird deutlich, dass die Priesterschaft in der ganzen Region theologisch schlecht gebildet ist. Und es wird erkennbar, dass Zwingli und mit ihm andere zwischen zwei Flügeln stehen: Auf der einen Seite stehen die Altgläubigen oder Konservativen, auf der anderen Seite die Radikalen.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1523 bis schließlich 1524 setzt sich Zwinglis Position in Zürich immer weiter durch; die konservative, also eher katholisch gesonnene Opposition bricht auseinander und verliert den Rückhalt. Pfingsten 1524 beschließt der Rat die Entfernung der Bilder, Kruzifixe, Statuen und Wanddarstellungen. Hinsichtlich der Gottesdienstform aber zögert der Rat. Das provoziert die Radikalen, so dass sich ein Bruch mit diesen schon anbahnt.

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Dieser Bruch vollzieht sich definitiv 1525, als die Radikalen unter Führung von Konrad Grebel außerhalb Zürichs im Dorf Zollikon eine eigene kleine Gemeinde gründen. Grebels Ideal ist eine Gemeinde von Glaubenden - und da wird die Kindertaufe zum Problem. Schon 1524 hatten Taufverweigerungen stattgefunden, gegen den Willen des Rates, der die Neugeborenentaufe anordnete. Eine Disputation 1524 hatte zu keinem Ergebnis geführt, und so ist die Gründung der neuen Gemeinde, in der nur Erwachsenentaufen (also: Wiedertaufen) durchgeführt werden, konsequent.
Zwingli hat selber zeitweise an der Kindertaufe gezweifelt. Aber im Zusammenhang mit den "Täufern", bei denen die Taufe die Zugehörigkeit zu einer sich von der Welt abkehrenden Gemeinschaft bedeutet, entwickelt Zwingli eine Tauftheologie ganz eigener Art.
Sie wendet sich einmal gegen die römische Auffassung, der auch Luther zumindest teilweise folgt: Die Taufe ist nach Zwingli kein Gnadenmittel, sie bewirkt selber gar nichts. Sündenvergebung ist erfahrbar aufgrund der göttlichen Verheißung, die in der Predigt zugesagt wird. Die Taufe vergibt keine Sünden, auch das Taufwasser nicht; es hat keine übernatürliche Bedeutung. Das eint ihn mit den Täufern. Dennoch hält Zwingli an der Kindertaufe fest, obwohl sie den Verpflichtungscharakter der Taufe nicht zeigen kann. Und zwar, weil in der Bibel deutlich wird, dass auch schon die Kinder von Christenmenschen zu Gott gehören und weil im Alten Testament ja auch die Säuglinge beschnitten werden, die Taufe also als Parallele zur Beschneidung gesehen wird. Außerdem führe die Praxis einer Erwachsenentaufe zu einer Absonderung und einer sich für sündenfrei haltenden Gemeinschaft.
Was dann abgesehen von der theologischen Diskussion seitens der Obrigkeit in der Folgezeit mit den Täufern passiert, ist kein Ruhmeszeichen für die Reformation geworden; sie wurden verfolgt, vertrieben und teilweise sogar ermordet.

Weitere Schriften Zwinglis entstehen. So etwa im Jahre 1524 "Der Hirt", in dem Zwingli den evangelischen Prediger als treuen Hirten im Kontrast zu bösen Gegenbeispielen zeichnet. Ein Jahr später entsteht der "Commentarius de vera et falsa religione", also: der Kommentar über die wahre und falsche Religion, in dem Zwingli in 29 Kapiteln die Hauptstücke der evangelischen Lehre darstellt. Der Commentarius kann als Zwinglis Hauptwerk verstanden werden. Im Frühjahr 1525 beginnt die sogenannte "Prophezei": eine exegetische Schulung, in der die Bibel ausgelegt wird; für die Pfarrer wird das eine Pflichtveranstaltung. 1531 liegt als Folge dieser Bibelauslegungen die Zürcher Bibel vor. Zu Ostern 1525 wird in Zürich eine neue Gottesdienstordnung eingeführt, die durch Klarheit und Schlichtheit geprägt ist: Im Mittelpunkt steht die Predigt, liturgischer Gesang und Orgel verschwinden und die Abendmahlsgeräte sind aus Holz gefertigt.

Zürich selber steht innerhalb der Eidgenossenschaft weitgehend isoliert da. Zur Tagsatzung wird Zürich gar nicht mehr eingeladen. Dennoch gewinnt in mehreren Orten die Reformation die Oberhand, so in St. Gallen, Schaffhausen, Basel und Bern. Auch in Konstanz hatte sich die Reformation durchgesetzt. Zürich schließt sich mit den genannten Städten zu einem Bündnis zusammen, zum sogenannten "Christlichen Burgrecht". Das bedroht die katholisch gebliebenen Kantone im Umfeld des Christlichen Burgrechtes, die sich wiederum selber zusammenschliessen zur "Christlichen Vereinigung", wobei sie auch Habsburg zum Verbündeten haben. Nach einer Zeit des Drohens bricht schließlich der Krieg aus: 30 000 Soldaten des Burgrechts stehen nur ca. 9 000 Innerschweizer der Vereinigung gegenüber. Aber da nur ein Teil des Burgrechts wirklich den Krieg engagiert betreibt und die Innerschweizer hoffnungslos unterlegen sind, gibt es schnell eine Einigung, den Ersten Kappeler Landfrieden von 1529. Aus Sicht des Burgrechts und damit auch Zwinglis ist das Ergebnis mäßig, weil das Söldnerwesen in den Innerschweizer Orten weiterhin möglich ist. Jedoch ermöglicht der Erste Kappeler Landfrieden auch die Reformation in weiteren Teilen der Schweiz.

Abgesehen von den Streitigkeiten nach außen gibt es auch in Zürich selber Opposition in politischer und in kirchlicher Hinsicht. In politischer Hinsicht sind es vor allem die Händler, der Adel und andere, die ein großes Interesse am Reislaufen haben und auch daran, dass der wirtschaftliche Handel ungestört fließen kann. In kirchlicher Hinsicht sind es viele Altgläubige, die die Wiedereinführung der täglichen Messe fordern.

Zwingli hatte seit 1523 ein eigenes Abendmahlsverständnis entwickelt. Während Luther davon ausging, dass in den Glaubenden Brot und Wein Leib und Blut Christi werden, betont Zwingli: Brot und Wein stehen für den Leib und das Blut Jesu Christi, der am Kreuz ein für alle Mal dahingegeben wurde und der den Glaubenden im Heiligen Geist gegenwärtig ist. Die Elemente Brot und Wein garantieren nicht die Sündenvergebung, sondern erinnern an dieses Geschehen; wer Abendmahl feiert, bekennt: Unsere Gegenwart ist verwandelt durch die Kraft der am Kreuz geschehenen Versöhnung.

Zu Zwinglis Abendmahlsverständnis

Siebtens glaube, ja weiß ich, dass alle Sakramente so weit davon entfernt sind, die Gnade zu verleihen, dass sie diese nicht einmal herbeibringen oder verwalten. ... Wie die Gnade nämlich vom göttlichen Geist bewirkt oder geschenkt wird - ich benütze das Wort aber im lateinischen Sinn, indem ich nämlich den Ausdruck "Gnade" für Vergebung, Nachsicht und freie Wohltat verwende -, so fällt dieses Geschenk allein dem Geist zu. Der Geist braucht aber keinen Führer und kein Transportmittel. Er selbst ist nämlich Kraft und Träger, durch den alles gebracht wird, er hat nicht nötig, selber gebracht zu werden. Wir lesen in den heiligen Schriften nie, dass Sichtbares, was die Sakramente ja sind, den Geist mit Sicherheit mit sich bringen würde. Vielmehr war, wenn Sichtbares je mit dem Geist verbunden war, der Geist der Träger, nicht das Sichtbare.

(aus: H. Zwingli, Rechenschaft über den Glauben, in: Zwingli Schriften Bd. IV, 113)

Und weil dieses Wiedergedächtnis eine Danksagung und ein Frohlocken dem Allmächtigen gegenüber ist wegen der guten Tat, die er uns durch seinen Sohn bewiesen hat, und, welcher in diesem Fest, Mahl oder Danksagung erscheint, sich bezeugt, dass er deren sei, die da glauben, dass sie mit dem Tod und Blut unseres Herrn Jesu Christi erlöst sind.

(nach: H. Zwingli, Aktion oder Brauch des Nachtmahls, in: Huldreich Zwinglis sämtliche Werke Bd. IV [CR 91], Leipzig 1927, 1-24, 15)

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Warum bringen nach Zwingli die Sakramente die Gnade nicht mit sich?

2. Was für ein Verständnis des "Sichtbaren" wird hier erkennbar?

3. Was ist die Aufgabe des Heiligen Geistes?

4. Was geschieht im Abendmahl? Was bewirkt es?

5. Ist Gott im Abendmahl gegenwärtig?

 

 
Aufgrund von bei Luther und Zwingli unterschiedlichen Verständnissen können beide nicht zueinander kommen: Luther sieht in Zwingli einen Abfall von der Reformation, einen Schwärmer. Und Zwingli hat den Eindruck, dass Luther auf halber Strecke steckengeblieben ist. Beide verfassen eine Reihe von gegensätzlichen Schriften zum Abendmahl, zum Teil auch bewusst gegeneinander (z.B. Luther: Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakramenten [1525]; Zwingli: Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi [1526]; Luther: Dass diese Worte Christi "Das ist mein Leib etc." noch fest stehen wider die Schwarmgeister [1527]; Zwingli: Dass diese Worte: "Das ist mein Leib" usw. ewiglich den alten Sinn haben werden [1527])
Auf Druck des Fürsten Philipp von Hessen findet im Oktober 1529 ein Religionsgespräch in Marburg statt, das letztlich scheitert: In allen Punkten können sich Luther und Zwingli einigen, beim Abendmahl nicht. Aber es ist doch eher zu sagen: Beim Abendmahlsverständnis treten anders noch verborgene Gegensätze ans Licht. (Bild: Marburger Religionsgespräch hier verorten)

1530 findet in Augsburg der Augsburger Reichstag statt, auf dem der Kaiser eine Wiederherstellung der kirchlichen Einheit erreichen wollte. Die von Philipp Melanchthon verfasste "Confessio Augustana" (Augsburger Bekenntnis), das das prägende Bekenntnis der lutherischen Kirchen geworden ist, wird dort verlesen. Auch Zwingli reicht ein Bekenntnis ein: "Fidei ratio" (Begründung des Glaubens). Anders als das auf Ausgleich und Verständigung abzielende Augsburger Bekenntnis erklärt Zwingli hier sehr offensiv seine Interpretation des Evangeliums und weist auch den Kaiser vom Wort Gottes her unmissverständlich auf seine Verantwortung, seine Fehler und seine Grenzen hin.

ZwingliIn der Zürcher Politik ist Zwingli weiter engagiert und viele seiner Ideen gerade hinsichtlich der Außenpolitik Zürichs werden nach dem Kappeler Frieden aufgegriffen. Aber in der konkreten Gestaltung kann Zwingli den Kurs nicht sonderlich beeinflussen. So kommt es dazu, dass er seine eigene Position in Zürich politisch gesehen als immer einflussloser empfindet. Er fühlt sich im Stich gelassen und droht 1531, zurückzutreten, was nur mit Mühe verhindert wird. Der Streit zwischen Zürich und den mit ihr Verbündeten und den anderen Orten geht aber weiter. Denn Ende 1530 hat sich die Reformation in der Innerschweiz nur zu kleinen Teilen durchsetzen können. Daraufhin macht Zürich Druck. Und zwar 1531 mit einer völlig fehlschlagenden Lebensmittelblockade, die übrigens Zwingli nicht wollte. Als Reaktion erklären die fünf Orte der Innerschweiz Zürich den Krieg und marschieren bei Kappel auf. Am 11. Oktober 1531 werden ca. 3500 ungerüstete Zürcher von doppelt so vielen Innerschweizern vernichtend besiegt. In weniger als einer Stunde fallen 500 Zürcher, darunter auch Zwingli, dagegen nur 100 Innerschweizer.