5. Der Aufbau der Genfer Kirche

Als Calvin nach Genf zurückkehrt, ist seine erste Predigt eine Fortsetzung der letzten: Er tut so, als habe es keine Unterbrechung gegeben; Calvin knüpft nahtlos an seine Zeit 1538 an. Aber seine Stellung in Genf ist nun natürlich mächtiger, er ist ja zurückgeholt worden, um die Stadt und die Kirche zu ordnen.

Genf

Dabei kann aber Calvin nicht alles durchsetzen. Es gelingt beispielsweise nicht, dass jeden Sonntag Abendmahl gefeiert wird. Es wird die Berner Regelung übernommen, nach der es nur jedes Vierteljahr stattfindet
Auch in anderen Hinsichten gibt es Konflikte. Calvin will die Kirchenzucht weiter einführen und praktiziert sehen. Das heißt: das Konsistorium soll die Möglichkeit haben, die Gemeindeglieder, die sich eines Vergehens gegen die Lehre oder die Sittlichkeit schuldig gemacht hätten, vorzuladen, zu befragen, gegebenenfalls zu tadeln bis hin zum äußersten Mittel der Exkommunikation. Das aber findet der Rat der Stadt zu weitgehend, weil man eine Gerichtsbarkeit neben der politischen Führung befürchtet. Nach einigem Hin und Her setzt sich Calvin - nicht ohne Abstriche und ganz erst 1555 - durch.
Wir empfinden heute solche Worte von der Kirchenzucht als problematisch. Denn damit scheinen die Rechte der Einzelnen eingeschränkt zu werden. Darum geht es Calvin nicht. Er ist der Auffassung, dass eine Gemeinde, die weiß, wer sie ist, auch darauf achten muss, wie die, die sich zu ihr zählen, verhalten. Und dass bei groben Verstößen gefragt werden muss, ob wirklich Gemeinschaft gehalten werden kann. Calvin fühlt sich übrigens in dieser Hinsicht von Matthäus 18 geleitet und unterstützt, wo vom Umgang mit Vergehen von Gemeindegliedern geredet wird.

Die Frage der Kirchenzucht führt zu den meisten Konflikten auch mit dem Genfer Rat. Wichtiger in der Kirchenordnung ist aber Art und Weise, wie die Gemeinde selber geleitet wird. Und da ist das vierfache Amt bei Calvin prägend geworden für den Weg der Kirche. Das Kirchenregiment besteht aus vier Ämtern: aus den Pastoren, den Lehrern, den Ältesten und den Diakonen.

  1. Die Pastoren sollen erstens predigen und unterrichten, zweitens die Sakramente (Taufe und Abendmahl) verwalten und drittens die Kranken besuchen. Einmal wöchentlich kommt der Konvent der Pastoren der Stadt und der Umgebung zusammen, legt gemeinsam die Bibel aus und übt wechselseitige Zensur.
  2. Die Lehrer haben die Aufgabe, "die Gläubigen in der heilsamen Lehre zu unterrichten". Im engeren Sinn ist das die Erklärung der Bibel Alten und Neuen Testaments. Weil Sprachkenntnisse und allgemeine Bildung dazugehören, damit "dieser Unterricht Gewinn bringt", gehört auch dieser Unterricht zu den Aufgaben der Lehrer.
  3. Zwölf Älteste werden jedes Jahr durch die zwei Räte bestimmt, gemeinsam mit sechs durch ihre Kollegen gewählten Pastoren bilden sie das Konsistorium.
    Dieses Konsistorium hat die Aufgabe, bei den Gliedern der Kirche auf die kirchliche Ordnung zu achten. Das Konsistorium und seine Mitglieder sollen diejenigen "freundschaftlich ermahnen, die sie Fehltritte tun oder in unordentlichen Verhältnissen leben sehen." Die Mitglieder des Konsistoriums tragen also Sorge für den Lebenswandel der Gemeinde, aber auch für die Gottesdienstteilnahme und die Lehre. Stellen sie Verachtung oder Missbrauch fest, so haben sie zunächst in aller Freundschaft zu ermahnen. Falls die Ermahnung nicht ausreicht, können auch Exkommunikation und Strafanzeige bei der weltlichen Gewalt erfolgen. Aber beides geschieht äußerst selten. Am häufigsten ist das Konsistorium damit beschäftigt, Streit zu schlichten, oft Streit zwischen Ehepartnern. Das Konsistorium versammelt sich einmal in der Woche am Donnerstag. Die Kirchenordnung definiert den Geist, in dem das Konsistorium handeln soll, folgendermaßen: "All dies soll aber stets so maßvoll sein, dass dabei keine bedrückende Strenge herrscht, und ebenso sollen auch die Zurechtweisungen nichts anderes sein als Heilmittel, um die Sünder wieder zu unserem Herrn hinzuführen."
    Das Konsistorium soll weder in den weltlichen Machtbereich noch in die allgemein übliche Gerichtsbarkeit eingreifen.
  4. Die Diakone haben zwei Aufgaben: die Unterstützung der Armen und die Versorgung der Kranken. Die erste Tätigkeit besteht in der Organisation der Almosen und deren Weitergabe an die Bedürftigen; dazu gehört auch die Speisung der Armen. Die zweite besteht im Betrieb der Krankenhauses und der Fremdenherberge; für die Armen besteht kostenlose Behandlung und für die Kinder ist ein Lehrer im Krankenhaus tätig. (Alle Zitate entstammen der Kirchenordnung)
Zu den kirchlichen Ämtern
(aus der Kirchenordnung von 1561)

"Es gibt vier Aufgabenbereiche oder Arten von Ämtern, die unser Herr zur Leitung seiner Kirche geschaffen hat: einmal die Pastoren, dann die Doktoren, danach die Ältesten und viertens die Diakone. Wenn wir also eine wohlgeordnete und unversehrte Kirche haben wollen, müssen wir uns an diese Gestalt ihrer Leitung halten."
Die Aufgabe der Pastoren "ist es, sowohl in der Öffentlichkeit wie gegenüber Einzelnen das Wort Gottes zu verkünden: zu lehren, zu ermahnen, zurechtzuweisen und zu tadeln. Sie sollen aber auch die Sakramente verwalten und zusammen mit den Ältesten oder Ratsbeauftragten die brüderlichen Zurechtweisungen vornehmen."
"Die besondere Aufgabe der Doktoren besteht darin, die Gläubigen in der heilsamen Lehre zu unterweisen, damit die Reinheit des Evangeliums weder durch Unkenntnis noch durch Irrlehren getrübt wird."
Die Aufgabe der Ältesten "besteht darin, auf die Lebensführung eines jeden zu achten und diejenigen freundschaftlich zu ermahnen, die sie Fehltritte tun oder in unordentlichen Verhältnissen leben sehen."
Die Diakone sind "damit beauftragt, das Armengut entgegenzunehmen, zu verteilen, und zu verwalten..., sich um die Kranken zu kümmern und sie zu pflegen, und die Armen zu speisen."

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Wie werden die vier Ämter definiert?

2. Welches Amt ist übergeordnet?

3. Wer leitet die Gemeinde?

 

Es wird also deutlich, dass innerhalb der vor Ort existierenden Gemeinde bestimmte Aufgaben zu erledigen sind. Solche, die eher dem Bereich der Lehre und der Bildung angehören, ebenso wie andere, die diakonische Dimensionen berühren. Die Ämter in der Gemeinde sind von diesen Aufgaben her zu verstehen, und das heißt funktional. Dieses funktionale Amtsverständnis unterscheidet Calvin von allem sakramentalen Amtsverständnis. Das ist daran zu sehen, dass jemand ein Amt so lange innehat, solange er das Amt versieht. Das Amt ist nicht an die Person gebunden, sondern an die Gemeinde. Hier sind deutliche Unterschiede zum Luthertum benennbar. Dort gibt es die Konzentration auf das eine ordinierte Amt der Verkündigung und Sakramentsverwaltung, das an die Person und nicht an die Gemeinde gebunden ist.

Gruppe mit Calvin
Farel, Beza und Viret mit Calvin

Neben der Tätigkeit in Genf ist Calvin bemüht, die verschiedenen evangelischen Strömungen zu einen. Hinsichtlich des Abendmahls erzielt er 1549 eine Übereinstimmung mit den Zürchern im sogenannten "Consensus Tigurinus" (Zürcher Konsens): Eigentlich ist dort erst so etwas wie das "reformierte Abendmahlsverständnis" entstanden.

Zum Abendmahlsverständnis
(Ausschnitt aus: Institutio IV,17,1 u. 2)

Gott hat uns ein Unterpfand geschenkt, mit dem er uns solcher fortwährenden Freundlichkeit hat vergewissern wollen. Zu diesem Zweck hat er daher seinen Kindern durch die Hand seines eingeborenen Sohnes das zweite Sakrament gegeben, nämlich das geistliche Mahl, in welchem Christus bezeugt, dass er das lebendigmachende Brot ist, durch das unsere Seelen zur wahren, seligen Unsterblichkeit gespeist werden (Joh. 6, 51).
Zunächst: die Zeichen (bei diesem Sakrament) sind Brot und Wein: Sie stellen uns die unsichtbare Speise dar, die wir aus Christi Fleisch und Blut empfangen.
Und dann: die einige Speise unserer Seele ist Christus, und deshalb lädt uns der himmlische Vater zu ihm ein, damit wir seiner teilhaftig werden, Erquickung empfangen und dadurch immer wieder neue Kraft sammeln, bis wir zur himmlischen Unsterblichkeit gelangt sind.
Das Geheimnis der verborgenen Einung Christi mit den frommen aber ist seiner Natur nach unbegreiflich; daher läßt er eine Vergegenwärtigung oder ein Bild solchen Geheimnisses in sichtbaren Zeichen kundwerden, die unserem geringen Maß auf das beste angepasst sind, ja, er gibt uns gleichsam Pfänder und Merkzeichen und macht es uns damit zur Gewissheit, wie wenn wir es mit Augen sähen. Denn es ist ein vertrautes Gleichnis, das auch in den unkundigen Verstand dringt: unsere Seelen werden genauso mit Christus gespeist, wie Brot und Wein das leibliche Leben erhalten. Damit wird also schon deutlich, welchem Zweck diese verborgene Segnung dient: Sie soll uns Gewissheit verschaffen, dass der Leib des Herrn dergestalt einmal für uns geopfert worden ist, dass wir ihn jetzt als Speise genießen und über solchen Genießen die Wirkkraft dieses einigen Opfers an uns erfahren, - und dass sein Blut dergestalt einmal für uns vergossen ist, dass es uns zu einem Trank wir für immerdar. Daher nennt er auch den Kelch den "Bund" in seinem Blut (Luk. 22, 20; 1. Kor. 11, 25). Denn allemal, wenn er uns jenes heilige Blut zu trinken gibt, ist es so, dass er den Bund, den er einmal mit seinem Blut bekräftigt hat, gewissermaßen erneuert oder besser ihn fortführt, soweit es zur Stärkung des Glaubens gereicht.
Reiche Frucht der Zuversicht und Lieblichkeit können nun die frommen Seelen aus diesem Sakrament empfangen, weil sie ja das Zeugnis haben, dass wir mit Christus zu einem Leibe zusammengewachsen sind, so dass alles, was sein ist, auch unser genannt werden darf.

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Was ist der Sinn des Abendmahls?

2. Wer wird beim Abendmahl gespeist? Wem gibt das Abendmahl etwas?

3. Sind Brot und Wein Leib und Blut Jesu Christi?

4. Ist das Abendmahl heilsnotwendig?