3. Johannes a Lasco und Ostfriesland

Johannes a Lasco

Schon um 1520 zeigen sich, u.a. von der "Devotio moderna" beeinflußt, reformatorische Aktivitäten in Ostfriesland. Unterstützung erhalten die reformatorisch Gesonnenen in den größeren Orten (Emden, Norden, Aurich und Leer) und durch einzelne Angehörige des Häuptlingsadels (Häuptlinge wurden die Fürsten in Ostfriesland genannt). Vor allem Ulrich von Dornum sorgt durch die Veranstaltung des "Oldersumer Religionsgesprächs" 1526 für eine Auseinandersetzung zwischen reformatorischen Ansätzen und der römisch-katholischen Theologie (Themen sind die Mittlerschaft Christi, die Funktion Marias und die Rechtfertigungslehre) und auch für eine Profilierung evangelischer Positionen in Ostfriesland. Auffallend ist, daß die reformatorischen Positionen in Ostfriesland zunächst eher an Zwingli erinnern, Luther hingegen wird besonders hinsichtlich der Lehre von der Kirche als unzureichend empfunden.
Im Jahre 1528 entsteht das "Prädikantenbekenntnis" in dem den Sakramenten abgesprochen wird, daß sie heilsvermittelnd seien - damit wenden sich die Verfasser gegen Luther, dem sie mangelnde Konsequenz vorwerfen.

Aus dem Bekenntnis der ostfriesischen Prädikanten von 1528

Der 30. Artikel
Viel weniger schenkt das Abendmahl des Herrn einem Christen die Gewißheit, daß er ein Christenmensch sei und den Glauben habe; vielmehr muß er, bevor er zum Abendmahl geht, Gewißheit haben, sonst wäre er ein Betrüger oder ein Spötter.

Der 31. Artikel
Wer nicht geistlich durch den Glauben Fleisch und Blut Christi ißt und trinkt, das heißt, wer an Christus nicht gesättigt ist und genug zur Seligkeit hat, der ißt und trinkt das Brot und den Kelch des Herrn, die Gedenkzeichen seines Fleisches und Blutes, zu seiner eigenen Verdammnis.

Der 32. Artikel
Willst Du armer Mensch da noch zuerst Versicherung und Vertröstung holen, so hast Du noch keinen Glauben, welcher die Gewißheit selber ist. Hast Du dann keinen Glauben, so ißt und trinkst du auch nicht das Fleisch und Blut Christi, so nimmst du auch das äußere Zeichen zu deiner Verdammnis wie ein Spötter. Es verachten die das Sakrament am meisten, die vorgeben, daß sie am meisten davon halten.

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Welche Größen werden hier gegenübergestellt?

2. Was darf nur der Glaube geben, nicht aber das Abendmahl?

3. Was ist das Abendmahl dann?

4. Gegen wen könnten sich diese Sätze richten?

 

Das führt innerhalb Ostfrieslands zu Konflikten zwischen dem Landesherrn Enno II., der aus politischer Rücksichtnahme lutherischen Positionen den Vorzug gab, und den nicht-lutherischen Kreisen, die man "reformiert" zu diesem Zeitpunkt noch nicht nennen kann. 1540 übernimmt Gräfin Anna die Regierungsgeschäfte. Zu der Zeit ist deutlich, daß sich in Ostfriesland zwei nebeneinander existierende reformatorische Linien gebildet haben: die lutherische und die andere, die später reformiert genannt werden wird. Im gleichen Jahr 1540 war Johannes a Lasco (1499-1560) nach Emden gekommen. Er stammte aus dem polnischer Hochadel, war Schüler von Erasmus von Rotterdam und theologisch aus Straßburg und Zürich geprägt. Diesen humanistischen evangelischen Ausländer beruft Gräfin Anna 1542 zum Superintendenten für alle Evangelischen in Ostfriesland. Er gründet den "Coetus" in Emden, eine wöchentliche Zusammenkunft aller ostfriesischen Prediger, und außerdem den Emder Kirchenrat. Er sorgt für die teilweise Entfernung der Bilder aus den Kirchen und bewirkt weitere kirchliche Reformen. Sein Hauptanliegen ist es, eine gemeinsame Lehre in Ostfriesland herbeizuführen, u.a. durch den von ihm zusammen mit seinen Kollegen verfaßten Emder Katechismus von 1546. Aber es regt sich gegen a Lasco Widerstand: aus den umliegenden Gemeinden, weil ihnen manches zu radikal, und aus den lutherisch geprägten Gemeinden, denen a Lasco zu reformiert ist. 1549 wird a Lasco auf Betreiben von Graf Johann abgesetzt. A Lasco geht nach London und wird Pastor der aus den Niederlanden geflohenen Reformierten. Von dort vertrieben kehrt er mit seiner Gemeinde 1553 zurück, ohne in seine alte Stellung wieder eingesetzt zu werden, und erarbeitet u.a. zusammen mit dem Prediger Gellius Faber, der theologisch stärker zu Calvin tendiert, den 1554 erscheinenden Kleinen Emder Katechismus - dieser ist in Ostfriesland bis 1888 in Gebrauch. 1555 wird a Lasco endgültig des Landes verwiesen, weil er sich aus der Sicht der Regierenden als zu kompromißlos zeigt. Über Frankfurt geht a Lasco nach Polen zurück, wo er ergebnislos die zerstrittenen polnischen Evangelischen zu einen versucht. 1560 verstirbt a Lasco.
1571 findet in Emden die Synode der Niederländischen reformierten Kirche statt - außerhalb des Territoriums der Niederlande aufgrund der dort stattfindenden auch blutigen Verfolgung der Reformierten, allerdings ohne Beteiligung ostfriesischer Gemeinden.
Die beiden evangelischen Konfessionen in Ostfriesland driften in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auseinander. Seit 1575 ist der stark von Calvin beeinflußte Menso Alting Pastor in Emden, er organisiert mit seiner Coetusordnung von 1576 die ostfriesischen Gemeinden in reformiertem Sinne, unterstützt von Graf Johann. Gegen den Widerstand von dessen lutherischem Bruder Edzard II. erlangen die Emder Bürger in der Emder Revolution von 1595 die Sonderstellung Emdens als freie Stadt.
1599 entsteht das Emder Konkordat, in dem ausdrücklich das Nebeneinander von reformierter und lutherischer Konfession in Ostfriesland geregelt wird: es gibt in jedem Ort nur eine Kirche (entweder lutherisch oder reformiert), sowohl Lutheraner wie auch Reformierte gehören in diesem Ort dieser Gemeinde an und behalten ihren eigenen Konfessionsstand (= "ostfriesisches Sonderrecht"). In den größeren Orten Emden, Leer und Aurich wird das zwar nach einer Weile gebrochen, in den Dörfern besteht diese Regelung zum Teil noch bis heute.
In den meisten reformierten Gemeinden setzt sich bis ins 17. Jahrhundert ein eher strenger orthodoxer Calvinismus durch. Dieser wird an manchen Orten durch pietistische Strömungen abgelöst. Die bis heute bekannte "Abendmahlsscheu" (d.h. nur sehr wenige gehen zum Abendmahl, weil sie fürchten, nicht würdig genug zu sein) geht auf diesen pietistischen Einfluß zurück. Die Kirchensprache ist bis ins 19. Jahrhundert hinein Niederländisch.
Eine unschätzbare Quelle für die Kenntnis der Entwicklung der reformierten Konfession in Emden und Umgebung sind die einzigartigen Emder Kirchenratsprotokolle, die (von Jan Weerda herausgegeben) auch in gedruckter Form vorliegen.
Die Große Kirche in Emden ist im zweiten Weltkrieg zerstört worden und ist heute nach Restaurierung als Johannes-a-Lasco-Bibliothek Forschungsstätte für den reformierten Protestantismus und Ort für vielfältige Veranstaltungen.
Die reformierten Gemeinden in Ostfriesland gehören heute zur "Evangelisch-reformierten Kirche. Synode ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland". Der Dienstsitz des Synodalrates befindet sich im ostfriesischen Leer.