7. Rheinland und Niederrhein

Anders als in den bisher beschriebenen Regionen geschieht die reformierte Konfessionalisierung im Rheinland nicht einheitlich. Ein Grund dafür ist, daß die Herzöge im Rheinland zur Zeit der Reformation viele verschiedene kleine sogenannte Unterherrschaften besitzen, die z.T. von Grafen aus anderen deutschen Regionen regiert werden.
Einflüsse Luthers gibt es im Rheinland schon früh; ab 1519 studieren viele Rheinländer z.B. in Wittenberg. Einzelne Adelsherrschaften werden evangelisch. Das Schicksal des 1529 in Köln auf dem Scheiterhaufen verbrannten Adolf Clarenbach, der sich an die lutherische Lehre hielt, zeigt aber, daß sich die Reformation nur teilweise durchsetzen konnte. Ein Kölner Reformationsversuch unter dem Erzbischof Hermann zur Wied scheitert 1543. Er scheidet daraufhin aus seinem Amt. Das Nebeneinander von katholischen und evangelischen Gemeinden bestimmt fortan das Rheinland.
Die Entstehung von reformierten Gemeinden geschieht auf zwei verschiedene Weisen, einmal "von unten" und dann auch "von oben".
Bei der Reformation "von unten" ist zunächst an die Flüchtlingsgemeinden zu erinnern. U.a. in Wesel, Aachen, Duisburg und Köln ließen sich ab 1545 reformierte Glaubensflüchtlinge aus England, Frankreich und den Niederlanden nieder. Sie bilden "nach Gottes Wort reformierte", lebendige und gut organisierte Bekenntniskirchen und wirken dadurch wohl anziehend für viele Einheimische. Eine ganze Reihe von "geheimen Gemeinden" entstehen. Trotz der Erfolge gibt es Widerstände und manche Repression, wobei besonders die Gemeinden am Niederrhein in den niederländischen Freiheitskampf einbezogen werden und unter spanischer Verfolgung zu leiden haben (in dieser Zeit entsteht die Selbstbezeichnung "Gemeinden unter dem Kreuz"). In einem Weseler Konvent von 1568 kommen Delegierte aus den Flüchtlingsgemeinden aus Wesel, Emden und London zusammen, um zu beraten, wie die von ihnen aufgebaute presbyterial-synodale Ordnung erhalten werden kann. Die Emder Synode von 1571 "der niederländischen Kirchen, die unter dem Kreuz und über Deutschland und Ostfriesland verstreut sind" (so die Eigenbezeichnung) beschließt dann diese Ordnung, in der sowohl die Selbständigkeit der einzelnen Gemeinde wie auch der Zusammenhalt der Gemeinden geregelt wird. Diese presbyterial-synodale Ordnung bestimmt bis in die Gegenwart hinein z.B. die Struktur der Ev. Kirche im Rheinland.

Pfarrhaus Neviges

Neben dieser Reformation "von unten" gibt es auch die in Deutschland eher typische Einführung des reformierten Bekenntnisses in verschiedenen Unterherrschaften. So wirken verschiedene Herrschaften als "Protektoren" (H. Klueting) für das reformierte Bekenntnis sowohl in niederrheinischen Gebieten, im Bergischen Land, in Hohensolms-Braunfels und Wittgenstein, in Sayn-Altenkirchen und in Pfalz-Zweibrücken, so daß durchaus von einem "Vormarsch des Calvinismus" (E. Mülhaupt) gesprochen werden kann. Im Schutz der Bernsauer Herren tagt auch die erste reformierte bergische Synode 1589 in Neviges.

1610 findet in Duisburg die erste rheinische reformierte Generalsynode statt, in der die presbyterial-synodale Ordnung für die reformierten Gemeinden und Provinzialsynoden für die vier Landesteile Jülich, Kleve, Berg und Grafschaft Mark beschlossen wird. 1671 wird dies in einer Kirchenordnung festgelegt und detailliert ausgeführt. Die Synoden haben sich im gesamten 17. und auch zu weiten Teilen im 18. Jahrhundert als Kirchenleitung erwiesen, die den Kurs der Gemeinden zu lenken imstande war. Gleichzeitig übernimmt als Nachfolger des letzten Klever Herzogs der reformiert gewordene Brandenburger Kurfürst Johann Sigismund die Herrschaft. Er stärkt die Reformierten u.a. mit der Neugründung der reformierten Hochschule in Duisburg 1655.
Zwischen Lutheranern und Reformierten, aber auch innerhalb der Reformierten finden zum Teil heftige Auseinandersetzungen über dogmatische Fragen statt (z.B. um den freien Willen, die Prädestinationslehre etc.). Wohl im Zusammenhang mit der Betonung auf die rechte Lehre (Ortho-doxie) findet der Pietismus im 17. Jahrhundert sowohl in gemäßigter als auch in schwärmerischer Ausformung Anklang bei vielen Reformierten. Zu nennen ist hier beispielsweise die sog. "Ronsdorfer Rotte" unter Elias Eller, die auf einer Anhöhe außerhalb von Elberfeld das Gottesreich errichten, aber auch der zum mystischen Pietismus neigende, sich aber nicht in der Mystik verlierende Gerhard Tersteegen (1697-1769), dessen Wirkungen kaum zu überschätzen sind.
Die reformierten Gemeinden gehören heute zur "Evangelischen Kirche im Rheinland". Ein Teil der Gemeinden ist reformiert geblieben, ein anderer hat sich mit lutherischen Gemeinden zu unierten Gemeinden vereinigt.