8. Der Wetterauer Grafenverein (Wittgenstein, Nassau-Dillenburg-Siegen, Wied)

Die seit Anfang des 16. Jahrhunderts im sogenannten Wetterauer Grafenverein zusammengeschlossenen Grafschaften haben schon früh die Reformation in ihren Grafschaften eingeführt, z.B. Wilhelm I. in der Grafschaft Wittgenstein ab 1534 und Wilhelm der Reiche ab 1533 in der Grafschaft Nassau-Siegen-Dillenburg.
Aufgrund verschiedener Kontakte der Grafen in die Kurpfalz und die Eidgenossenschaft, aber auch in die Niederlande, tendieren nach 1566 die Einstellungen der Grafen langsam zum reformierten Bekenntnis, allen voran Graf Johann VI. von Nassau-Katzenelnbogen. 1576 war der vorherige Wittenberger Professor Christoph Pezel Prediger in Dillenburg geworden, 1577 bekennt sich Graf Johann offiziell zum reformierten Bekenntnis. Und schon 1578 wird ein von Christoph Pezel verfaßtes "Nassauisches Bekenntnis" verabschiedet. Innerhalb der Bevölkerung gibt es zwar deutliches Mißtrauen gegen die Einführung der reformierten Konfession, zugleich aber gibt es keine Nötigung seitens des Grafen.

Herborner Hohe Schule
Die Hohe Schule zu Herborn. Heute ist das Gebäude ein Hotel

1584 gründet Graf Johann VI. die Hohe Schule in Herborn, die u.a. mit dem Juristen Johannes Althusius eine weit über die Grafschaft hinausreichenden Ruf bekommt und zum Vorbild für andere Hohe Schulen (etwa die in Steinfurt) wird.
Auch in Wittgenstein verläuft der Übergang zum reformierten Bekenntnis ab 1565 allmählich und bekommt eine etwas größere Dynamik, als der ehemalige Heidelberger Theologe Kaspar Olevian 1576 Hofprediger in Berleburg wird (ab 1584 Professor in Herborn).
1586 tagt in Herborn eine reformierte Generalsynode der Grafschaften Nassau-Siegen-Dillenburg, Wittgenstein, Solms und Wied, auf der eine neue Kirchenordnung beschlossen wird (Vorbild ist die Middelburger Kirchenordnung von 1581). Zweierlei fällt auf: Einmal ist es das Charakteristikum dieser Kirchenordnung, die presbyterial-synodale Ordnung, nach der die Kirche von unten (konkret: von der Gemeinde her) aufgebaut wird, mit dem landesherrlichen Kirchenregiment, das eine Kirche von oben darstellt, zu verbinden, wobei das presbyterial-synodale Element überwiegt. Und es vereinigen sich die Kirchen in den Grafschaften zu einer territorienübergreifenden Kirche. Es ist auffällig, daß die Grafen diese Ordnung akzeptiert haben. Der Versuch einer Rekatholisierung der Teilgrafschaft Nassau-Siegen (1626; nach dem Tode Johanns VI. wurde die Grafschaft aufgeteilt) scheitert letztlich.
Die reformierten Gemeinden gehören heute zur "Evangelischen Kirche in Westfalen" oder zur "Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau". Ein Teil der Gemeinden ist reformiert geblieben, ein anderer hat sich mit lutherischen Gemeinden zu unierten Gemeinden vereinigt.

Auf der Herborner Generalsynode 1586 wurde die von Caspar Olevian verfaßte Ordnung beschlossen.

Unter anderem heißt es dort:

Die Generalsynode soll wechselnd und reihum in den einzelnen Grafschaften der Herren, die in sie eingewilligt haben, stattfinden, und zwar das sowohl um den Schein eines Vorrangs zu vermeiden, wie auch um in Art und Stand der Kirchen besser einen unmittelbaren Eindruck zu gewinnen. (...)
Ordentliche Konvente sollen viererlei gehalten werden: a) des Presbyteriums, b) Klassenkonvente, c) Teil- oder Provinzialsynoden, d) Generalsynoden. (...)
In all diesen werden die kirchlichen Angelegenheiten zur Sprache gebracht und soll das Vorgebrachte behandelt werden, und zwar nach kirchlichem Verfahren.
In den größeren Konventen soll nur verhandelt werden, was vorher in den kleineren sich nicht erledigen ließ oder was sich auf eine ganze Kirche oder mehrere bezieht.

(zitiert aus: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, bearb. und hg. von Paul Jacobs, Neukirchen-Vluyn 1950, 271.274

Die 1586 entstandene und auf ein niederländisches Vorbild zurückgehende Ordnung zeigt den für viele reformierte Gemeinden in Deutschland typischen presbyterial-synodalen Kirchenaufbau.

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Fragen zur Weiterarbeit

1. Welche Rolle spielen die "Herren", d.h. die Landesherren, für das kirchliche Leben?

2. Was bedeutet es, wenn die Generalsynode in verschiedenen Grafschaften tagen kann?

3. Wie ist das Verhältnis von kleineren und größeren Konventen?