Lektion 10: Katholische Briefe

Katholische Briefe
Der erste Petrusbrief
Der Judasbrief
Der zweite Petrusbrief
Der Jakobusbrief
Der erste Johannesbrief
Der zweite Johannesbrief
Der dritte Johannesbrief

Der erste Johannesbrief

Bezeugung und Kanonisierung

möglicherweise liegt in EpPolyk 7,1 „Denn jeder, der nicht bekennt, daß Jesus Christus im Fleisch gekommen ist, ist ein Antichrist“ ein Zitat aus 1 Joh 4,2f. vor, und hat Papias (noch Euseb, h.e. III 39,17) sich auf den ersten Johannesbrief berufen. Gesichert ist die Kenntnis des ersten Johannesbriefes um 180 n. Chr. bei Irenäus (haer. III 16,5.8). Kenntnis und Benutzung bedeutet aber noch nicht automatisch Kanonisierung. Die ältesten Zeugnisse darüber, daß der erste Johannesbrief kanonisches Ansehen hatte, sind der Canon Muratori (möglicherweise um 200 in Rom entstanden) und Origenes (bei Euseb, h.e. VI 25,10). Als kanonisch wird er in den einschlägigen Festlegungen durch die Synoden von Hippo Regius 393 und Karthago 397/410 für das westliche, lateinisch sprechende Nordafrika und durch Athanasius (39. Osterfestbrief) für Ägypten. Die syrische Kirche hat ihn (neben Jak und 1 Pt) erst im 5. Jahrhundert in die maßgeblich gewordene Übersetzung der Peschitta aufgenommen.

Zur Literarkritik

Bultmanns These, der jetzige erste Johannesbrief habe in den Aussagen zur Sühnetodvorstellung (1 Joh 1,7b; 2,2; 4,10), zur traditionellen Eschatologie (2,28; 3,2; 4,17) und im Epilog (1 Joh 5,14-21) eine Überarbeitung durch eine kirchliche Redaktion erfahren, ruhe aber selbst auf einer Vorlage auf, findet heute nur mehr wenig Anhänger; diskutiert wird faktisch nur noch die Literarkritik des Epilogs.

Zur literarischen Form

Kl. Wengst erklärt das „Wir“ als Nachahmung des Wir“ aus dem Johannesprolog (Joh 1,1-18) wodurch der Verfasser beansprucht, zu den ursprünglichen Zeugen zu gehören und mit dem des Johannesevangeliums identisch zu sein; dadurch, daß sich noch keine feste Tradition über die Verfasserschaft des Johannesevangeliums gebildet hatte, konnte kein Name genannt werden (27f.).
Man hat den ersten Johannesbrief die Briefform abgesprochen, weil Präskript und Schlußgrüße fehlen, und ihn als lehrhaften Traktat o.ä. bezeichnet. Gleichwohl ist der Text als Brief in einer konkreten Situation an eine konkrete Adressatenschaft, nämlich die des johanneischen Kreises zu verstehen, wie die mehrfach gebrauchten Wendungen „Ich schreibe euch“ (vgl. 1 Joh 2,1.8.12f.) und „Ich habe euch geschrieben“ (vgl. 1 Joh 1,14; 2,26; 5,13) zeigt.

Wer waren die Gegner im 1. Joh?

Aus 1 Joh 2,18f. geht hervor, daß die Gegner ursprünglich ebenfalls zum johanneischen Kreis gehört haben, dessen Spaltung somit der erste Johannesbrief dokumentiert. Nach 2 Joh 10.11 können sie möglicherweise eine Existenz als Wanderprediger geführt haben.
Gegenüber Bezeichnungen als Gnostiker (K. Wengst, 25f. sieht die Gegner auf einem theologischen Weg, der von einem radikalisierten Johannesevangelium zu Kerinth führt) und Doketen (Heilsrelevant ist nur der himmlische Christus, der nur zum Schein - daher der Name »doketisch« - einen Leib getragen und nur zum Schein gelitten habe) wird zunehmend Skepsis laut: daß Jesus Christus „im Fleisch“ gekommen sei, wird nur an einer Stelle und eher unbetont ausgesagt; häufiger ist von dem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus die Rede. H.-J. Klauck vermutet bei den Gegnern eine Christologie der Geistbegabung Jesu in der Taufe - Inkarnation und Kreuzestod treten in ihrer soteriologischen Bedeutsamkeit zurück - und eine entsprechende Pneumatologie, innerhalb deren „Gotteserkenntnis und Gemeinschaft mit Gott, gesteigert bis zur Gottesschau, eine rein präsentisch gefaßte Eschatologie, völlige Sündlosigkeit der Gotteskinder“ (41) im Zentrum stehen. Nach J. Beutler erschließt sich der Charakter der gegnerischen Lehre und Praxis nicht von der Christologie, sondern von der Anthropologie her: Die Gegner seien, vergleichbar den Gegnern des Paulus im ersten Korintherbrief, Enthusiasten, die im Bewußtsein ihrer Vollkommenheit nicht mehr an dem Bekenntnis festhielten, allein durch Christus zum Heil gekommen zu sein (20-24).
Die Warnung des Verfassers vor der Behauptung der Sündlosigkeit (1,8.10) kann freilich auch allgemein eine angesichts der Radikalität der erfahrenen Lebenswende (Taufe ist vornehmlich Erwachsenentaufe, um die der Täufling selbst nachsuchen muß!) naheliegende Fehlhaltung im Auge haben und muß nicht gegen bestimmte Gegner gerichtet sein.
Man hat gefragt, ob die Gegner die Rückkehr der johanneischen Christen ins Judentum unter Leugnung der Messianität Jesu propagieren, doch würde man auch hier eindeutigere Textsignale erwarten.

Grobgliederung

1,1-4 Proömium
1,5-2,17 Paränese
2,18-27 Irrlehrerthematik
2,28-3,24 Die Gotteskindschaft der Christen
4,1-6 Unterscheidung der Geister
4,7-21 Gottes Liebe zu uns und unsere Liebe zu Gott
5,1-13 Das Zeugnis über Christus als den Sohn Gottes
5,14-21 Epilog

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Feingliederung

1,1-4 Proömium
Das „Wir“ beansprucht Augenzeugenschaft; die Wendungen „gehört, gesehen, geschaut, betastet“ sind antidoketische Verweise auf die empirisch wahrnehmbare Erscheinung Jesu Christi, gegen Versuche, aus dem in Joh 1,1-18 beschriebenen Logos ein bloßes Himmelswesen zu machen.
Das Motiv der Gemeinschaft mit Gott (V. 3) weist auf V. 5f. voraus.

1,5-2,17 Paränese

1,5-10 Warnung vor Selbstüberschätzung
Die Wendung „Wahrheit tun“ bedeutet „Sich durch sein Tun als treu und rechtschaffen erweisen“; vgl. Gen 47,29 LXX; Jes 26,10 LXX; Tob 4,6; 13,6. Wahrheit ist nicht wie in griechischer Tradition Gegenstand des Erkennens, das sich auf die vorgegebenen Seinsstrukturen bezieht, sondern „Zuverlässigkeit“ innerhalb einer personalen Beziehung, das, worauf sich die oder der andere verlassen kann. In TestBenj 10,3 heißt es: „Tut nun die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten. Und beachtet das Gesetz des Herrn und seine Gebote“. Doch enthält auch der griechische Wahrheitsbegriff Implikationen, die das Verhalten des einzelnen normieren: Für den stoischen Weisen folgt aus der Einsicht in die Wohlgeordnetheit des Weltganzen ebenfalls das rechte Verhalten als tugendhaftes Handeln, wie allein schon die Formel „in Übereinstimmung mit der Natur leben“ ausweist.
Zum Stichwort der Nachahmung Gottes und Christi vgl. Joh 15,12; 1 Kor 11,1 u.ö.
Gerade 1 Joh 1,8-22 konnte die Reformatoren dazu veranlassen, die allein rechtfertigende Gnade auch auf das Christenleben und auf die Tilgung der Sünden in ihm zu beziehen.
1 Joh 1,9 „Wenn wir unsere Sünden bekennen“ ... wird im Trienter Konzil neben Jak 5,16 als Begründung für die Forderung nach einem vollständigen Sündenbekenntnis zitiert (DS 1679) und ist vor allem seit dem 17. Jhdt. für die römisch-katholische Theologie ein wichtiger Beleg zugunsten des sakramentalen Beichtbekenntnisses während der Ohrenbeichte.

2,1-2 Christus der Versöhner
Die Sühnetodtheologie, in den Vorverweisen auf Jesu Passion im Johannesevangelium impliziert (vgl. z.B. Joh 1,29), wird hier auch begrifflich eingebracht, vgl. dazu auch 1 Joh 4,10.

2,3-6 Christus kennen heißt seine Gebote halten
Mit dem Verweis auf Christi Lebensführung (V. 6) ist wohl seine liebende Selbsthingabe gemeint, vgl. Joh 13,15 und dann 1 Joh 3,16a; Joh 13,1.

2,7-11 Wandel im Licht besteht in der Bruderliebe
Die Bezeichnungen „alt“ und „neu“ beziehen sich nicht auf verschiedene Inhalte: „Alt“ ist das Gebot, weil es schon immer für die Angeredeten gilt, „neu“ ist es, weil es auch in Ewigkeit gültig ist. Zu beachten ist die Motivierung der Bruderliebe in der Liebe, die Gott uns erwiesen hat (1 Joh 4,10f.19).

2,12-17 Absage an die Welt
Umstritten ist, wie die Aufteilung der Anreden „Kinderchen / Väter / junge Männer“ im einzelnen zu verstehen ist.
Zum Verbot der epithymia vgl. schon Ex 20,17 LXX, das im frühen Judentum als generalisierende Aussage verstanden wurde. Die Warnung vor dem Prahlen mit dem Vermögen (zum rechten Umgang mit dem Vermögen vgl. zu Joh 3,13-18) zeigt, daß epithymia nicht auf das sexuelle Gebiet eingeengt werden darf, wenngleich dieses freilich nicht ausgeschlossen ist.

2,18-27 Warnung vor den Irrlehrern

2,18-21 Sie kommen aus der Gemeinde, gehören aber nicht mehr dazu
Zum Thema „Antichrist“ (2,18.22; 4,3; 2 Joh 7) vgl. 2 Thess 2,3.4. Die Bezeichnung ist aufgrund der Stellen in den Johannesbriefen aufgekommen.
Nach V. 20 traut der Vf. prinzipiell allen von ihm Angeredeten die Erkenntnis der Wahrheit zu; daß sich die Christen zu dem episkopos halten sollen und daran ihre Anerkennung als „rechtgläubige“ Christen hängt (vgl. IgnTrall 7,1-2), ist hier nicht im Blick. Die Sicherung der Tradition und die Bekämpfung von Irrlehren wird hier gerade nicht einem festumrissenen kirchlichen Amt zugewiesen.

2,22-25 ihre christologische Irrlehre
s.o. das zur Gegnerproblematik Gesagte.

2,26-27 Warnung vor der Verführung
Auf hierarchische Strukturen wird hier wie auch sonst im Rahmen der Irrlehrerpolemik nicht verwiesen (anders in den Briefen des Ignatius!).

2,28-3,24 Die Gotteskindschaft der Christen

2,28-29 Mahnung zum »Bleiben«
In ihm zu bleiben ist die Voraussetzung dafür, daß man im Jüngsten Gericht bestehen kann.

3,1-3 Die Begründung der Gotteskindschaft in der Liebe Gottes
Der Satzteil „Wir werden ihm ähnlich sein“ (3,2) erinnert (auch sprachlich) an den Entschluß Gottes (Gen 1,26), den Menschen „zum Ebenbild und zur Ähnlichkeit“ zu schaffen; so wäre das apokalyptische Schema der Entsprechung von Urzeit und Endzeit auch hier vorausgesetzt. Gleichzeitig ist aufgrund der Fortsetzung in Joh 3,2 die philosophische Vorstellung zu berücksichtigen, daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann (Sextus Empiricus, adversus Mathematicos VII 92). Zur Hoffnung auf die Gottesschau vgl. Jub 1,27f.; 4 Esr 7,91; Mt 5,8; 1 Kor 13,12; Kol 3,4; Apk 22,4.

3,4-6 Gotteskindschaft und Sünde vertragen sich nicht gegenseitig
Zu V. 5a vgl. Joh 1,29; zur Vorstellung von der Sündlosigkeit Jesu vgl. 2 Kor 5,21; Joh 7,18; 8,46.

3,7-12 Am Tun der Sünde wird offenbar, wer Kind des Teufels ist
Zu der Wendung „Kind des Teufels“ vergleiche die Vorstellung des Wirkens Belials auch in Israel (vgl. z.B. CD 4,12-6,2; 12,2; 1QH 12,9-15; 13,26). Als Söhne Beliars können in Jub 15,33 diejenigen Israeliten gelten, die ihre Söhne nicht beschneiden lassen und so von der Ordnung des Bundes abfallen. Der Satan gilt auch als der Fürst der vom Bund abfallenden Israeliten auch TestDan 5,6.
Die These 3,9 scheint zu den Worten in 1,8 und 3,4 geradewegs in Gegensatz zu stehen; entsprechend vielfältig sind die Versuche des Ausgleichs. Man wird den paränetischen Impetus von 1 Joh 3,7-10 nicht übersehen dürfen: Der Text will die Gemeinde dazu ermahnen, sich von Sünde fernzuhalten. Gemeinde ist in 1 Joh 3,8-10 wie bei anderen urchristlichen Autoren prinzipiell als sündenfreier Raum gedacht. Zur Hoffnung auf einen von der Sünde befreiten Äon vgl. äthHen 5,8-9; Jub 5,12; TestLev 18,9. Die Gabe der Entsprechung zu dem Willen Gottes ist eine eschatologische Gabe (vgl. schon Jer 31 [38],31-34; Ez 36,25-27), die freilich als Aufgabe ergriffen werden soll, vgl. Gal 5,16; Röm 8,14. In diesem Horizont ist m.E. auch die Warnung vor der Selbstüberschätzung in 1 Joh 1,8-10 zu verstehen.
Zur Motivierung der Tat Kains vgl. Jub 4,2; 1 Clem 4,1-7.

3,13-18 Gebot, mit der Tat zu lieben, d.h. auch materielle Unterstützung zu leisten
Die Notwendigkeit der sich hingebenden Bruderliebe in Form der materiellen Unterstützung wird mit dem Vorbild der sich in den Tod dahingebenden Liebe Christi zu uns begründet (vgl. Joh 13,14f.34).
Zu V. 17 vgl. Dtn 15,7-11; Jak 2,15f.

3,19-24 Daß wir Gottes Gebote halten, ist Ausweis unserer Gotteskindschaft
Zur Gotteskindschaft Israels vgl. Hos 11,1, zur Gotteskindschaft des einzelnen jüdischen Frommen vgl. SapSal 2,18; zur Gewißheit der Gebetserhörung vgl. Mk 11,24; Lk 11,9-13; Mt 8,19.

4,1-6 Prüfung und Erkenntnis der Geister
Die eigene Rechtgläubigkeit wird behauptet, der missionarische Erfolg der Gegenseite mit unangemessener Weltanpassung erklärt.

4,7-21 Gottesliebe und Bruderliebe
Die von uns geforderte Liebe zu den Schwestern und Brüdern hat ihren Grund (1 Joh 4,19) und ihr Vorbild (1 Joh 4,11) in der Liebe, die uns Gott zuvor durch die Hingabe seines Sohnes erwiesen hat (1 Joh 4,9f.). Ist diese Lebe für Gott bestimmend, so soll sie es auch für uns sein (1 Joh 4,16). Vgl. auch den ekklesiologisch aktualisierten Begründungszusammenhang von Heilstat und Forderung in Mk 10,45; Phil 2,1-11. Zur Vorstellung des stellvertretenden Sühnetodes Jesu im 1. Johannesbrief vgl. 1 Joh 2,1f.

5,1-13 Das Zeugnis über Christus als den Sohn Gottes
Umstritten ist, ob 5,1-4 zum folgenden zu ziehen ist (Wengst; Klauck; Beutler) oder zum Vorangegangenen (Bultmann; Strecker).
1 Joh 5,1f. Die Liebe zu Gott wird an der Solidarität zu dem rechtgläubig verbliebenen Gemeindeteil erkannt. Zu V 3 vgl. Dtn 30,11; Ps 119,7.47.62 u.ö.; Philo, SpecLeg I 299; Mt 11,30.
Inwieweit können „Geist, Wasser und Blut“ Zeuge und auf das Eine hin ausgerichtet sein? Der Geist bezieht sich wohl auf den Parakleten aus Joh 15,26; 16,13, der dem Glaubenden Jesus Christus als die Wahrheit immer tiefer erschließt; das Wasser kann an das johanneische Motiv des Lebenswassers (Joh 4,14) erinnern, das in Joh 7,37-39 mit der Geistverleihung, in Joh 19,34f. mit dem Kreuzestod verbunden wird, das Blut verweist auf die soteriologisch bedeutsame Lebenshingabe Jesu. Natürlich sind auch andere Deutungen möglich, etwa der Bezug auf die (gnostischerseits oft im Sinne der Verbindung eines Himmelswesens mit einem irdischen Menschen interpretierte) Erzählung von der Taufe Jesu oder auf die Sakramente. Gottes Sohn ist durch das Zeugnis des Vaters bestätigt; wer dann nicht an den Sohn glaubt, macht Gott zum Lügner. Das Zeugnis besteht nach V. 11f. darin, daß uns der Sohn ewiges Leben vermittelt.
Das sog. Comma Iohanneum: In 1 Joh 5,7 hat die Erwähnung der »drei« zeugnisgebenden Instanzen (Geist, Wasser, Blut) veranlaßt, davor oder danach einen Hinweis auf die Dreieinigkeit einzufügen. Der Einschub findet sich erstmals in lateinischen Handschriften des 4. Jhdts., in der griechischen Überlieferung begegnet er erst seit dem 12. Jhdt.

5,14-21 Gewißheit und Grenze der Fürbitte
Der Abschnitt ist in seiner Authentizität umstritten.

Aufgabe:

Benennen sie Parallelen aus 1 Joh zu dem hier Gesagten.


In V. 16f. kommt die Fürbitte für den sündigen Mitchristen als Beispiel für die Gewißheit der Gebetserhörung zu stehen. Dieses Gebet ist allerdings, so V. 16b, nur legitim für Sünden „nicht zum Tode“. Ursprünglich mag mit der „Sünde zum Tode“ vor allem der Glaubensabfall gemeint gewesen sein. Zu der strengen Auffassung von der Unvergebbarkeit bestimmter Sünden vgl. Hebr 6,4-6; 10,26-31. Für die spätere Wirkungsgeschichte der Stelle ist das zeitliche Verständnis i.S. v. „Sünde, an der der Sünder bis zu seinem Tode durchgehend festhält“ von Bedeutung, mit der Konsequenz, daß es keine Sünde geben könne, für die die Kirche nicht beten und von der sie nicht lossprechen könne. Das Konzil von Trient beruft sich bei seiner Festschreibung der Unterscheidung von Todsünden und läßlichen Sünden (DS 1577; DS 1680) nicht auf 1 Joh 5,16 (Hinweise bei Klauck, 332).
Zur Bitte um die Bewahrung vor dem Bösen (5,18) vgl. Mt 6,13; Joh 17,15, ein entsprechendes Bekenntnis formulieren in frühjüdischer Literatur 1QS 3,24f., TestBenj 6,1.
Zum Motiv der „Einsicht“ der Glaubenden vgl. Hebr 8,10; 10,16 und die Vorlage Jer 38 (31) 33 LXX.
zu 5,21: Die nur scheinbar mit dem Briefganzen nicht zusammenhängende Mahnung (vgl. zuvor die Gewißheit der Erkenntnis des wahren Gottes 1 Joh 5,20 und dazu 1 Thess 1,9) wird angesichts des wachsenden Drucks der nichtchristlichen Umgebung auf die christlichen Gemeinden durchaus akut: Es besteht die Gefahr, daß Christen sich vor den Götzen nicht hüten, sondern wieder den Weg zurück ins Heidentum gehen und somit „Sünde zum Tode“ begehen.

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Theologische Grundgedanken

Die theologischen Grundgedanken des ersten Johannesbriefes sind nicht ohne Verweis auf die Veränderungen gegenüber dem Johannesevangelium zu beschreiben. Diese Veränderungen betreffen Christologie, Soteriologie und Eschatologie.
Christologisch hatte das Johannesevangelium thematisiert, daß in dem irdischen Menschen Jesus niemand anders auf den Plan tritt als Gott selbst, dem ersten Johannesbrief geht es darum, daß Gott selbst gerade in dem irdischen Jesus von Nazareth auf den Plan getreten ist (K. Wengst, Der erste, zweite und dritte Brief des Johannes, ÖTK 16, Gütersloh/Würzburg 1978, 34). Soteriologisch wird der Tod Jesu mit dem Begriffsfeld des Sühnevorstellungen interpretiert (1 Joh 2,1f.; 4,10); was die Eschatologie betrifft, so ist das Gewicht der futurischen Eschatologie (1 Joh 2,17.18.28) und der Gerichtsaussagen verstärkt (1 Joh 2,28; 4,17).

Aufgabe zur Weiterarbeit:

Die theologische Charakteristik des ersten Johannesbriefes erschließt sich am ehesten aus den tragenden semantischen Oppositionen, d.h. der Gegensatzpaare, die den ganzen Brief durchziehen (Gott - Welt; Licht - Finsternis etc.). Erstellen Sie eine Übersicht

Soteriologie, Ekklesiologie, Ethik

Die terminologische Verklammerung dieser drei Themen tritt im ersten Johannesbrief im Vergleich zu anderen neutestamentlichen Schriften dank der Konzentration des Verfassers auf diese Terminologie um so deutlicher heraus. Das entscheidende Begriffspaar wird durch die Wortfelder agapan (lieben) und misein (hassen) gebildet: So wie Gott uns liebt, so sollen wir die Brüder lieben, während es gilt, die Welt als gottfeindliche „Finsternis“ zu hassen.
Ausdruck der Liebe Gottes zu uns sind Jesu Sendung und sein Sühnetod zur Tilgung unserer Sünden (1 Joh 4,9-11). Darin besteht das Leben, das in Christus uns erschienen (1 Joh 1,2) und uns vermittelt ist (1 Joh 4,9), und so kann gesagt werden, daß Gottes ureigenstes Wollen die Liebe ist (1 Joh 4,8b.16a). Seine Liebe zu uns ist Begründung (1 Joh 4,19) und Vorbild (1 Joh 4,11) für die von uns durch sein Gebot (1 Joh 2,7f.; 3,23f.) geforderte Liebe, sein Verhalten Vorbild für das von uns geforderte Verhalten (1 Joh 2,6; ähnlich im Bezug auf die Verwirklichung von Gerechtigkeit 1 Joh 2,29; 3,7 und Reinheit 1 Joh 3,3). Das Bleiben in der Liebe ist ein Bleiben in Gott (1 Joh 4,16b), die Verweigerung dieser Liebe ist Sünde, ist ein Kennzeichen dessen, daß man Gott noch nicht erkannt hat (1 Joh 4,8a), daß man noch in der Finsternis wandelt (1 Joh 2,9), noch auf der Seite des Todes steht (1 Joh 3,14). Die vom Vf. energisch eingeforderte, zugleich theo-logisch wie christologisch begründete (1 Joh 4,7-11) Nächstenliebe schließt Gastfreundschaft und materielle Unterstützung des Hilfsbedürftigen ein (1 Joh 3,17; 4,17-21).
Dass wir dank der Liebe Gottes zu uns seine Kinder sein dürfen, begründet zugleich die Distanz zu der Welt, die Gott nicht kennt (1 Joh 3,1) und darum die Christen ihrerseits haßt (1 Joh 3,13), die man deshalb mit ihren Begierden nicht liebhaben soll (1 Joh 2,15f.). Gott und Welt sind wie Licht und Finsternis voneinander unterschieden. „Sünde“ kann darum mit der Wendung „in der Finsternis wandeln“ umschreiben werden (1 Joh 2,6) und führt aus der Gemeinschaft mit Gott heraus (1 Joh 1,3.6).
Der Horizont der Ethik auch des ersten Johannesbriefes ist das Jüngste Gericht, anläßlich dessen die Welt vergehen wird (1 Joh 2,17) und auf den Glaubenden und Liebenden das ewige Leben wartet (1 Joh 3,3; 5,11.13). Die gegenwärtige Zeit wird als Krisenzeit empfunden: Gerade in der letzten Stunde ist die Gefahr der Verwirrung durch eine falsche Christologie besonders groß (1 Joh 2,18).