Lektion 12: Die Offenbarung des Johannes

Vorbemerkungen
Verfasserfrage
Die Rezeption der Johannesoffenbarung
Die Adressaten
Situation
Datierung und Lokalisierung
Gattung
Theologische Voraussetzungen
Literarische Gemeinsamkeiten
Theologische Gemeinsamkeiten
Grobgliederung
Feingliederung
Exkurs: Chiliasmus
Theologische Grundgedanken

Theologische Gemeinsamkeiten:

1. Kennzeichnend ist das Bewußtsein, das in der Schrift verzeichnete Wissen nicht durch Rückschluß der eigenen Vernunft, sondern durch Mitteilung jenseitiger, statusüberlegener Wesen erfahren zu haben. Damit ist sowohl die Abhängigkeit des Offenbarungsempfängers von den Offenbarungsspendern gesetzt wie die autoritative Stellung des Offenbarungsempfängers gegenüber den Empfängern seiner Schrift.

2. Gesetzt ist damit in den geschichtlichen Apokalypsen aber auch, daß das in der allgemeinen Erfahrung Wahrnehmbare von dem eigentlich Intendierten differiert: Die irdische Geschichte wird nach menschlichem Verständnis nicht als der Ort der sichtbaren Herrschaft Gottes erfahren. Apokalyptik ist zwar, das hat neuere Forschung gezeigt, nicht einseitig als Krisen- und Katastrophenliteratur zu bezeichnen, ist aber dazu geeignet, das Bewußtsein der Differenz zwischen Sein und Sollen zum Ausdruck zu bringen, sei es, daß Israel von Heiden bedrängt ist, sei es, daß es von unrechten eigenen Herrschern regiert wird.

3. Auf dem Boden der o.a. theologischen Voraussetzung zielgerichteten geschichtlichen göttlichen Handelns erwachsen Notwendigkeit und Möglichkeit, das Weltgeschehen als Prozeß der Selbstdurchsetzung der Herrschaft Gottes zu denken. Gedacht wird dies jedoch nicht als evolutionärer Prozeß einer allmählichen Durchdringung der Welt mit der Herrschaft Gottes, sondern dualistisch als der Abbruch der Geschichte. Kennzeichnend ist daher die Unterscheidung zweier Äonen: In diesem gegenwärtigen Äon herrschen die widergöttlichen Mächte; im kommenden Äon verwirklicht sich die Herrschaft Gottes uneingeschränkt, das Böse ist besiegt, die Feinde Gottes sind vernichtet (Der Verarbeitung selbst erlebter Katastrophen wie z.B. der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. dient der Gedanke, daß die antigöttlichen Mächte gerade in der letzten Zeit dieses Äons, der Abfassungszeit der jeweiligen Schrift, besonders grausam am Werke sind). Apokalyptik hat von daher die paränetische Intention, gegen allen Augenschein zur Treue gegenüber dem göttlichen Gesetz zu ermahnen, und die Trostfunktion, dass solche Treue nicht unbelohnt bleiben wird.

4. Der Gedanke des zielgerichteten geschichtlichen göttlichen Handelns ermöglicht die literarische Fiktion, das eigene Wissen als das einem Frommen früherer Zeiten geoffenbarte Wissen auszugeben: Die Katastrophen gegenwärtiger Geschichte sind von Gott im Voraus gewußt. Daraus erwachsen wiederum Trost und Mahnung.

Die Johannesoffenbarung teilt literarisch mit anderen apokalyptischen Texten das Inventar bestimmter Sprache wie das bestimmter Personen und Themen (sie bietet allerdings keine Geschichtsrückblicke, weil sie die Geschichte Gottes mit Israel nicht thematisiert und hinsichtlich der Vergangenheit nur auf die Erlösungstat Christi zu sprechen kommt, vgl. Apk 5,9f.); ihr brieflicher Charakter bewirkt jedoch daß die fiktionale Vorzeitigkeit gerade nicht erstrebt wird: In Apk 1,9 bezeichnet sich der Seher als „euer Bruder und Teilhaber an der Bedrängnis, an der Königsherrschaft und am Ausharren“ und somit als Zeitgenosse seiner Adressaten, der mit ihnen real kommunizieren will. So zielen u.a. auch die Schreibbefehlen in den Sendschreiben und im eigentlichen Visionsteil (z.B. Apk 14,13; 19,9) unmittelbar auf die Gegenwart der Gemeinden. Neben diesem variierten Verständnis von Kommunikation ist in der Forschung weithin der Verweis darauf üblich, daß die Johannesoffenbarung nicht als pseudepigraph zu gelten hat, d.h. ihre Autorität nicht auf eine Gestalt aus der Geschichte Israels oder eine Gestalt christlicher Vergangenheit herleitet.